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aus Unser Rassehund 9/2016

Jörg T. Epplen, Gabriele Dekomien, Regina Kro-

patsch; Humangenetik Ruhr-Universität Bochum

Progressive Retina Atrophie (PRA; auch generalisierte

PRA (gPRA) genannt) kann als eine Modellerkrankung in

der Hundezucht wie auch für die Retinitis pigmentosa des

Menschen angesehen werden. Die Netzhaut des Auges

degeneriert dabei über Monate und Jahre. Die Erkrankung

setzt früher oder später beim erwachsenen Hund mit Ein-

schränkungen der Sehkraft ein, insbesondere bei Dunkel-

heit, letztlich erblindet das Tier. Die verschiedenen PRA-

Formen werden gemäß den klassischen Erbgängen wei-

tergegeben und können je nach Erbschema dementspre-

chend züchterisch erfolgreich bekämpft werden. Weiterhin

sind genetische Ursachen der verschiedenen PRA-

Formen bereits in vielen Hunderassen geklärt, sodass mit-

tels DNA-Tests z. B. die Mutations-Trägerschaft bzw. auch

die Mutations-Freiheit zweifelsfrei nachzuweisen ist.

Jüngste Beispiele für neu etablierte genetische Testmög-

lichkeiten betreffen Rassen wie Golden Retriever (1),

Schwedischen Vallhund (2), Polski Owczarek Nizinny (3),

Shetland Sheepdogs (4), Tibet-Spaniels und Tibet Terrier

(5). Bei zahlreichen Forschungsprojekten stellt sich auch

heraus, dass nur wenige Rassen Mutationen in denselben

Genen aufweisen, d.h. viele PRA-Ursachen sind rassespe-

zifisch. Andererseits sind in ein und derselben Rasse mit-

unter mehrere verschiedene PRA-Formen mit ganz unter-

schiedlichen Mutationen vertreten (6), die PRA ist sozusa-

gen genetisch uneinheitlich.

ENTWICKLUNG VON PRA-MUTATIONS-

TESTS UND FOLGEN DER ANWENDUNG

In manchen Rassen war PRA bereits länger bekannt,

meist dauerte es aber noch einige Jahre bis die geneti-

sche Ursache geklärt werden konnte. Ein Beispiel aus un-

serem Labor betrifft die Schapendoes, ursprünglich ein

Hütehund aus den Niederlanden. Nach intensiver Planung

mit dem Verein suchte eine Doktorandin in 2004 zunächst

denjenigen Erbträger (Chromosom), auf dem die Mutation

beherbert sein musste. Das klappte auch relativ zügig

nach etwas mehr als einem Jahr. Prinzipiell mit derselben

Forschungsstrategie (mit sog. Mikrosatelliten als Kandida-

tengen-gekoppelten Markern) gehen auch heute noch ver-

schieden Gruppen vor (7). Allerdings gestaltete sich da-

mals dann die eigentliche Genmutationssuche bei uns als

sehr langwierig. Erst im 11. komplett charakterisierten Gen

auf dem betreffenden Chromosom wurde der richtige Kan-

didat mit dem Erbsprung in den Schapendoes identifiziert.

In enger Kooperation mit dem DOK (Gesellschaft für Dia-

gnostik genetisch bedingter Augenerkrankungen bei Tie-

ren e.V.; Dortmunder Kreis) wurden in der betreffenen

Rasse einerseits fraglich PRA-Fälle, die die neuentdeckt

Mutation nicht aufwiesen, als sekundäre Folgen eines

Glaukoms erkannt und andererseits initiale Netzhautverän-

derungen bei jüngeren Hunden erst aufgrund des Mutati-

onsträgerstatus bestätigt. Die Mutationssuche hatte dann

insgesamt beinahe vier Jahre gedauert. In 2015 konnte ei-

ne neue Mutation in einer weiteren Rasse innerhalb von

fünf Monaten identifiziert werden (siehe unten). Moderne

Ansätze der sog. Exom-Sequenzanalyse (8,9) erlauben es

oftmals, eindeutige Ergebnisse wesentlich schneller zu er-

zielen, sodass in der Folge direkte Mutationstests zur Ver-

fügung gestellt werden können.

Im Fall der Schapendoes beschloss der Verein unmittelbar

Maßnahmen um die PRA zu vermeiden bzw. auch, um die

Häufigkeit der Mutation in der Rasse abzusenken. Hier

war der Verein mit seinen Züchtern auch außerordentlich

erfolgreich. Die Frequenz von Mutationsträgern wurde in-

nerhalb von 10 Jahren von über 28 % auf unter 4 % ge-

drückt, wie die Tests bei über 20.000 Hunden im genann-

ten Zeitraum nachgewiesen haben. Wissenschaftlich be-

standen aber Befürchtungen, dass bei allzu rigoroser Be-

kämpfung der Mutation die genetische Vielfalt innerhalb

der vergleichsweise kleinen Rasse weiter eingeschränkt

werden würde. Wir wurden daher von den Ergebnissen

der Nachuntersuchungen ziemlich überrascht, denn genau

das Gegenteil der befürchteten Entwicklungen trat ein:

Jüngst gezüchtete Schapendoes zeigen ausgeprägtere

genetische Vielfalt im Vergleich mit jenen von vor zehn bis

zwölf Jahren. Warum? Offensichtlich erinnerten sich die

Züchter bzw. Zuchtwarte neuerdings weitere Linien, die in

der vergangenen Zuchtphase weniger häufig zum Einsatz

gekommen waren. Dieser Zusammenhang wurde bereits

in UNSER RASSEHUND (Seite 28-31; Juli 2015) ausführ-

lich referiert. Wir werden nun überprüfen, ob derart uner-

wartet positive Effekte sich auch in anderen Rassen nach

der Etablierung von PRA-Mutationstests einstellen.

UND WIEDER IST NOCH EINE ANDERE RAS-

SE VON PRA BETROFFEN

Nennen wir die Rasse A, noch nie war PRA bei diesen

Jagdhunden aufgetreten. Im März 2015 wurden bei meh-

reren Rüden eines Wurfs durch DOK-Tierärzte Netzhaut-

Veränderungen diagnostiziert. Durch die Zuchtbuch-

Führerin informiert planten wir ein Forschungsprojekt, da-

mit die Ursache frühzeitig erkannt werden kann und den

Haltern ein DNA-Test zur Verfügung gestellt wird. Dasjeni-

ge Gen, das oftmals bei PRA mutiert ist, zeigt bei der

Rasse A keine Auffälligkeiten. Ebenso wurden Mutationen

im Erbgut (Genom) der Mitochondrien („Kraftwerke der

Zellen“ mit eigenem Genom) ausgeschlossen. Demnach

blieben hunderte Gene in den ungefähr 5 000 000 000

Bausteine im Hunde-Genom übrig, die potentiell PRA aus-

lösen konnten. Daher sequenzierten wir alle Anteile des

Erbguts von zwei betroffenen und zwei gesunden As, die

die Funktionsmoleküle, die Proteine, verschlüsseln, eine

sog. Exom-Analyse. Hätte es sich um die „menschliche

PRA“, die Retinitis pigmentosa, gehandelt, wäre das be-

deutend einfacher gewesen. Denn die Genomsequenzen

des Menschen sind zu zigtausenden in den öffentlichen

Datenbanken zugänglich. Beim Hund gibt es nur wenige

Genomsequenzen, und diese weisen darüber hinaus noch

unheimlich große Lücken auf. In diesem wahren Daten-

wust der Exom-Sequenzen ist dann im September 2015

eine neue Mutation in einem Gen auf dem X-Chromosom

aufgefallen, der Verlust von großen Anteilen eines be-